Art.Salon

Kunst braucht Veränderung. Der Kunstmarkt jetzt auch

Der Kunstmarkt ist in Bewegung, die Machtverhältnisse verschieben sich, Künstlerinnen und Künstler, Galerien und Messen müssen ihre Rollen neu definieren. Wer sich dem Wandel nicht anpasst, wird es schwer haben, sich zu behaupten. In der Corona-Pandemie haben aber Galerien, Auktionshäuser und Kunstschaffende eindrucksvoll gezeigt, wie schnell sich auch der traditionell eher behäbige Kunstmarkt bewegen und technische Innovationen aufgreifen kann. Die kommenden Jahre dürften also spannend werden und wir freuen uns, dass wir gerade zu dieser Zeit den Art.Salon eröffnen und das Geschehen in der internationalen Kunstszene ein wenig begleiten werden.

von Felix Brosius, 09. September 2021

»Das vergangene Jahr erschütterte die Kunstbranche in unvergleichlicher Weise«. Diese Einschätzung von Colleen Cash, dem Vice President der Auktionssparte von artnet, ist in einer Unternehmensmeldung des börsennotierten Kunstportals vom 17. Mai 2021 nachzulesen. Hier im hohen Norden Deutschlands – der Art.Salon hat seinen Sitz in Hamburg, der Stadt hanseatischer Gelassenheit – werden Erschütterungen gemeinhin nicht ganz so schnell diagnostiziert, aber ohne Frage ist der Kunstmarkt derzeit erheblich in Bewegung und wurde auch von der Corona-Pandemie vor gravierende Herausforderungen gestellt.

Corona hat auch den Kunstmarkt schwer getroffen

Mehr als die Hälfte aller internationalen Messen wurde vollständig abgesagt und die verbliebenen fanden unter weitreichenden Einschränkungen mit deutlich reduzierter Besucherzahl statt. Museen blieben über weite Strecken geschlossen, Auktionshäuser haben nur noch wenige Live-Auktionen durchgeführt, Galerien die Zahl ihrer Ausstellungen reduziert und auf lebhafte Vernissage-Events verzichtet; Kunsthändler mussten ihre persönlichen Kontakte einschränken und viele Künstlerinnen und Künstler waren auf sich selbst zurückgeworfen, konnten sich wie selten zuvor ausprobieren und auf das Kunstschaffen konzentrieren, waren aber vieler Gelegenheiten beraubt, ihrer Kunst auch Sichtbarkeit zu verleihen. Das alles hat dazu geführt, dass auf dem globalen Kunstmarkt im Jahr 2020 ein Viertel weniger umgesetzt wurde als vor der Pandemie – und damit im übrigen noch immer 25% mehr als im Jahr der Finanzkrise 2009.

»Das vergangene Jahr erschütterte die Kunstbranche in unvergleichlicher Weise«

Für die globale Wirtschaft ist das nur eine Randnotiz, denn der Kunstmarkt ist mit einem jährlichen Umsatz von etwa 50 Mrd. USD (42 Mrd. Euro) ein niedlicher Orchideen-Sektor – alleine Amazon erzielte im letzten Jahr mehr als siebenmal soviel Umsatz und das Unternehmen ist an der Böse soviel wert wie Giacomettis L'homme au doigt (141 Mio. USD), Edvard Munchs Schrei (120 Mio. USD), Modiglianis Nu couché (157 Mio. USD) und alle anderen in den letzten 30 Jahren gehandelten Kunstwerke zusammen. Die knapp 3 Mio. im Kunstmarkt Beschäftigten werden dies freilich anders sehen – für sie ist diese »Randnotiz« mitunter von existenzieller Bedeutung. Der nigerianische Künstler Matthew Eguavoen beschreibt die Zeit der Corona-Pandemie als Tiefpunkt seiner bisherigen künstlerischen Laufbahn und spricht damit mutmaßlich stellvertretend nicht nur für viele weitere Künstlerinnen und Künstler, sondern ebenso für Galerien, Kunstmessen und Auktionshäuser.

Alle vier Bilder zusammen können Sie mit dem Tagesumsatz von Amazon kaufen - und haben dann noch genug Geld für ein, zwei Picassos

Alberto Giacometti - L\'homme au doigt
Auction
Looking Forward to the Past
May 2015
Christies, New York
Est.: 130.000.000 - 150.000.000 USD
Realised: 141.285.000 USD
Details
Edvard Munch - The Scream
Auction
Impressionist & Modern Art Evening Sale
May 2012
Sothebys, New York
Est.: -1 - -1 USD
Realised: 119.922.500 USD
Details
Amedeo Modigliani - Nu Couché (Sur Le Côté Gauche)
Auction
Impressionist & Modern Art Evening Sale
May 2018
Sothebys, New York
Est.: -1 - -1 USD
Realised: 157.159.000 USD
Details
Claude Monet - Meules
Auction
Impressionist & Modern Art Evening Sale
May 2019
Sothebys, New York
Est.: 55.000.000 - 75.000.000 USD
Realised: 110.747.000 USD
Details

Der Kunstmarkt entdeckt das Internet

Doch der Kunstmarkt ist eben das Zusammenspiel von Kunst und Markt, zwei gestaltenden Kräften, die es beide gewohnt sind, auf Krisen mit Innovation zu reagieren. So hat sich insbesondere die Verlagerung von Ausstellungen und Auktionen ins Internet massiv beschleunigt und der Kunstbetrieb ist gerade im Begriff, seinen langjährigen Rückstand bei der Nutzung des Internets in kürzester Zeit aufzuholen. Während der gesamte Kunstmarkt um über 20% eingebrochen ist, haben sich die Online-Verkäufe von Kunst verdoppelt und machen heute etwa ein Viertel des Gesamtmarktes aus. Entgegen den Erwartungen traditioneller Kunstmarktakteure sind Sammler sowohl in der Lage, auf digitalem Wege neue Künstler zu entdecken, als auch bereit, Kunst, die sie nie live gesehen haben, über das Internet zu erwerben. Während etablierte Kunstmessen noch immer Online-Galerien von der Teilnahme ausschließen, verkaufen Künstler ihre Werke bereits direkt über Instagram an neue Sammler, ohne dafür eine Galerie oder gar eine Messe zu benötigen. Auch der Auktionsmarkt hat sich massiv in das Internet verlagert – und das mit großem Erfolg. Die traditionellen Auktionshäuser, allen voran Sotheby’s und Christie’s, konnten ihre Umsatzrückgänge dadurch deutlich begrenzen, während andere, die ohnehin schon auf das Internet gesetzt hatten, regelrecht wachgeküsst wurden.

artnet etwa ist aus einem langjährigen Dornröschenschlaf erwacht und hat in Online-Auktionen so etwas wie den heiligen Gral für sich gefunden. Das ist nicht unbemerkt geblieben und der Börsenwert von artnet, der viele Jahre zwischen 15 und 20 Mio. Euro dümpelte, hat sich innerhalb weniger Monate verdreifacht. Damit ist artnet heute immerhin so viel wert wie eine jpg-Datei – zumindest wenn es sich dabei um das NFT Everyday des Künstlers Beeple (bürgerlich Mike Winkelmann) handelt, das am 11. März 2021 für 69 Mio. USD bei Christies´ versteigert wurde. Nicht unerheblich für diesen Auktionserfolg waren sicherlich seine über 2 Mio. Follower auf Instagram, die er sich zuvor über Jahre aufgebaut hat – im übrigen ganz ohne eine Galerie an seiner Seite.

Auktionsrekord: 69 Mio. USD für ein JEPG

Beeple

Everydays: The First 5000 Days

Found at Christies, New York (Online Auction)
Beeple | The First 5000 Days, Lot 1
11. Mar - 11. Mar 2021
Estimate: -1 - -1 USD
Price realised: 69.346.250 USD
Details

Die Machtverhältnisse verschieben sich

Es scheint ganz so, als wäre der gesamte Kunstmarkt nach langer Zeit aufgeweckt worden, und es spricht einiges dafür, dass die große Erschütterung nicht im Jahr 2020 stattgefunden hat, sondern erst noch bevorsteht. Die Rollen der verschiedenen Akteure des Kunstmarktes werden gerade neu verhandelt, die Kräfteverhältnisse neu ausgemessen. Seit vielen Jahren ist der Kunstmarkt durch eine hohe Konzentration von Geld und Macht geprägt. Die beiden großen Auktionshäuser Christie’s und Sotheby’s decken mehr als 50% des gesamten Auktionsmarktes ab, und als wichtigster Faktor für den Erfolg eines Künstlers gilt die Aufnahme durch die richtige Galerie – nur wenn es einem Künstler gelingt, von einer der »Big Five« vertreten zu werden, hat er beste Voraussetzungen für eine internationale Karriere.

Doch diese Machtposition einiger weniger Marktteilnehmer wird zunehmend aufgebrochen. Instagram, lange Zeit vor allem für Foodporn, Katzenbilder und selbsternannte Influencerinnen bekannt, hat sich mittlerweile zu einer der wichtigsten Plattformen zum Entdecken und Kaufen von Kunst entwickeln. Und es sind vor allem die Künstler selbst, die hier ihre Arbeiten präsentieren und – ohne Galerie und etablierten Kunstmarkt – direkt an Sammler verkaufen. Die traditionelle Galerie wird damit nicht überflüssig, aber sie muss sich neu verorten und wird sich immer weniger auf Exklusivverträgen mit Künstlern ausruhen können. Das ist sicher zu begrüßen, soweit dadurch »Gatekeeper-Rollen« aufgebrochen werden und die kuratorische Leistung, die Ausstellungsarbeit und die Kunstvermittlung wieder stärker in den Mittelpunkt rücken, es erschwert aber zugleich den auch für Galerien noch immer mühsamen und langwierigen Weg, den es braucht, um einen Künstler aufzubauen, in den Kunstmarkt einzuführen und bei Sammlern zu etablieren.

All diese Veränderungen und Umbrüche stehen vor allem für eines: Die Kunstwelt ist so lebhaft und dynamisch wie selten zuvor. Sie verhandelt die gesellschaftlich relevanten Aspekte, erlangt globale Aufmerksamkeit, setzt Themen und dringt durch. Sie erfüllt ihre Aufgabe, von der nicht nur die Akteure des Kunstbetriebs profitieren, sondern auf die jede Gesellschaft und wir als globale Community zwingend angewiesen sind. Und auch wenn die im klassischen Sinne erfolgreiche Kunst schneller als je zuvor vom internationalen Kunstmarkt absorbiert, gepusht, ausgereizt und regelrecht verwertet wird, entstehen die wichtigsten und wertvollsten Impulse noch immer abseits des Hochglanz-Kunstbetriebs in gesellschaftlichen Nischen, den Künstlerateliers im Hinterhof, den Hochschulen, den Off-Spaces und den Bereichen, in denen man weder Kunst vermutet noch nach ihr sucht und der Künstler selbst nicht nach einer Karriere strebt, sondern eine Mission verfolgt, eine Botschaft transportieren oder einfach einen inneren Schaffensdrang ausleben möchte.

Der Art.Salon – ein Raum für Kunst

In dieser Zeit eröffnen wir mit dem Art.Salon einen neuen Raum für Kunst, der alle Kunstinteressierte zum Teilnehmen und Mitmachen einlädt – Künstler und Kunstsammler, Galerien und Museen, Auktionshäuser und jeden einzelnen Kunstliebhaber. Soweit wir das überblicken können, gibt es schon ein oder zwei Kunstportale im Internet, vielleicht auch ein- oder zweihundert, deshalb vermuten wir nicht, dass die Kunstwelt sehnsüchtig auf uns gewartet hat - obwohl uns das natürlich freuen würde. Aber vielleicht gelingt es uns ja, hier und da etwas beizutragen, was dem ein oder anderen zusagt, und wenn das dazu führt, dass ein Sammler eine neue Position entdeckt, ein Künstler verdiente Sichtbarkeit bekommt oder ein Kunstliebhaber einen neuen Gedanken mitnimmt, hat der Art.Salon sein Ziel erreicht.

Der Art.Salon ist heute noch nicht fertig – und das wird er wohl auch nie sein, denn er soll leben, wachsen und sich verändern. Wer sich für die »großen«, etablierten Künstler auf dem internationalen Auktionsmarkt interessiert, kann in unserer Preisdatenbank Bilder und Preise recherchieren und jederzeit eine Einschätzung vom »Marktwert « eines Künstlers bekommen. In der Artworld – in der Sie gerade diesen Artikel lesen – werden wir Künstler vorstellen, über Ausstellungen und Messen berichten und auf gesellschaftliche Diskussionen zur Kunstwelt eingehen. Wir sagten ja bereits, der Art.Salon hat seine Heimat in Hamburg, deshalb werden wir diese Kunst-Wüste, die wir dennoch lieben, unverdient häufig berücksichtigen, ebenso das Kunst-Mekka Berlin, wohl auch die gesamte deutsche Kunstwelt, aber von diesem kleinen und hoffentlich verzeihlichen Bias abgesehen, werden wir uns um eine globale Perspektive bemühen.

Ebenso wollen wir aber auch Künstlern, Galerien und Museen den Raum geben, ihre Arbeit zu präsentieren und ein neues Publikum zu erreichen. Wir laden jeden Interessierten ein, den Art.Salon mitzugestalten. Einige Angebote dazu werden erst in den nächsten Wochen, Monaten und vielleicht Jahren entstehen. Dabei wissen wir selbst noch nicht genau, wohin die Reise geht, und wir freuen uns über jede Anregung und jeden Vorschlag einer Zusammenarbeit, und das meinen wir nicht als Floskel, sondern als Aufforderung, uns zu schreiben an contact@art.salon. Wir freuen uns auf Ihre Nachrichten.

Ihr Felix Brosius Art.Salon

Dive deeper into the art world

Matthew Eguavoen

Matthew Eguavoen portraitiert Menschen mit starker Persönlichkeit und festem Blick. Dargestellt vor reduziertem Hintergrund bleibt der soziale Kontext bewusst im Verborgenen und wird gerade dadurch thematisiert. Eguavoen fordert den Betrachter auf, über die Lebensumstände, Erfahrungen und Prägungen der dargestellten Personen zu spekulieren, und führt ihn so in unsicheres Terrain. Ein junger Künstler aus Nigeria mit ganz eigener Handschrift, der in seinen Bildern die zentralen Fragen nach Herkunft und Identität verhandelt.

von Felix Brosius, 09. September 2021
Paris, Musée National Eugène-Delacroix eröffnet wieder

Eine Reise in die persönlichen Welten zweier berühmter Künstler: Das Musée National Eugène-Delacroix präsentiert Gegenstände aus dem Besitz von Jean-Auguste-Dominique Ingres und Eugène Delacroix, zwei konkurrierenden Kunststars des 19. Jahrhunderts. Ingres and Delacroix. Artists‘ Objects bietet ab dem 27. März in Paris Einblicke in ihre Schaffensprozesse.

27. March 2024