Eine außergewöhnliche Galerie in Hannover:

metavier – Ein Gespräch mit dem Bestatter und Galeristen Sven Friedrich Cordes

Der Tod in all seinen Facetten als Thema einer Kunstgalerie: 2018 in Hannover-Linden gegründet, verfolgt »metavier – Galerie vom Anfang und Ende« des Bestatters Sven Friedrich Cordes einen sehr besonderen Ansatz, der bereits zu einer Vielzahl an interessanten Ausstellungen geführt hat.

von Marius Meyer, 18. October 2021
metavier, Susanne Benze, Wer zuletzt lacht
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metavier, Susanne Benze, Wer zuletzt lacht

»Día de Muertos«, »Out of Nowhere« und zuletzt »Unklare Verhältnisse« sind die Titel einiger dieser Ausstellungen, die sich mit dem Tod auseinander setzen. Wie er das Leben beeinflusst, den Körper, die Hinterbliebenen, die Gesellschaft im Ganzen. Was ist im Umgang mit dem Tod angemessen, wie möchte man sich dazu verhalten – und welche Reaktionen sind gesellschaftlich akzeptiert? metavier wendet sich sämtlichen Fragen dieses Themas zu und bietet so einen offenen Raum, in dem unterschiedlichste zeitgenössische Kunstwerke präsentiert werden. Zu jeder Ausstellung wird ein künstlerisch ausgearbeiteter »Leichenschmaus« veranstaltet, der die Besucher zum Dialog einlädt. Weiterhin findet während der Ausstellungen immer donnerstags das Deathcafé statt, das einen zwanglosen Austausch über Tod und Sterblichkeit ermöglicht. Wir haben mit dem Bestatter Sven Friedrich Cordes, dem Inhaber von metavier, über seine Galerie gesprochen:

Herr Cordes, wie kamen Sie als Inhaber eines Bestattungsinstituts auf die Idee, eine Galerie zu gründen?

Als Bestatter habe ich jeden Tag auf der operativen Ebene mit dem Tod zu tun. Da erschien es mir logisch, eine künstlerisch-intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex zu fördern. Ich habe zudem den Kontakt zu unserer Zielgruppe als kritischen Punkt identifiziert. Es kommt ja niemand gerne und ohne einen konkreten Sterbefall zu uns - dafür ist die Hemmschwelle einfach zu hoch. Dabei merke ich Tag für Tag, wie stark das Informationsbedürfnis der Menschen zum Tod ist. Immerhin ist es ein unglaublich vielschichtiges und wichtiges Thema, welches für jeden von uns relevant ist.

Worin sehen Sie den Schwerpunkt Ihrer Galerie? Vertreten Sie ein festes Portfolio an Künstlern? Verstehen Sie sich eher als Ausstellungsmacher oder liegt der Fokus wie bei klassischen Galerien auf dem Verkauf?

Es werden Positionen ausgestellt, die zum Themenkomplex „Anfang und Ende“ passen. Das können konkrete oder abstrakte Annäherungen sein. Alle Werke werden auch zum Kauf angeboten, wobei wir noch kein festes Portfolio an Künstlern haben.

Welche Ziele verfolgen Sie mit metavier?

Es geht in erster Linie darum, die Menschen zur offenen und kritischen Auseinandersetzung mit dem Tod einzuladen - und dies ohne erhobenen Zeigefinger und ohne die in bisherigen Diskursen vertretenen Partikularinteressen der Beteiligten.

»Die Menschen merken schnell, dass sowohl Galerie als auch Bestattungsinstitut lebendig und unkonventionell mit dem Tod umgehen.« −Sven Friedrich Cordes

Der Tod ist das übergreifende Thema der Galerie. Welches Fazit würden Sie nach ihren bisherigen Ausstellungen ziehen in Bezug auf die Reaktionen der Besucher?

Wir haben bisher ausschließlich positive Rückmeldungen zu den Ausstellungen erhalten, obwohl einige Positionen durchaus auch Grenzen überschritten haben.

Wie hat sich der Blick auf den Tod bei Besuchern in der Galerie und im Deathcafé in den letzten 18 Monaten der Pandemie verändert?

Seit der Pandemie ist der Tod in unserer Gesellschaft präsent wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen darauf am Anfang panisch reagiert haben, sich mittlerweile aber eine Art von neuer Normalität etabliert hat. Eigentlich genau, was wir mit unserem Programm erreichen wollten.

Hat Kunst die Kraft, den Menschen wieder bewusst zu machen, dass der Tod kein Scheitern der Medizin, sondern ein natürliches Phänomen ist?

Wenn ich mir die Position des Todes in der Kunstgeschichte anschaue, muss ich diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Der Tod in der Kunst ist ja kein modernes Phänomen. Letztlich liegt es aber an uns Menschen, uns darauf einzulassen und den Tod als natürliches Phänomen zu akzeptieren.

Wie kann metavier dort als Kombination aus Kunstgalerie und Bestattungsinstitut in seiner Außergewöhnlichkeit dazu beitragen, die Perspektive auf den Tod zu ändern und den Umgang mit ihm zu erleichtern?

Es geht in der Symbiose aus metavier und Friedrich Cordes Bestattungen ganz klar um einen niedrigschwelligen Zugang zum Themenkomplex. Die Menschen merken schnell, dass sowohl Galerie als auch Bestattungsinstitut lebendig und unkonventionell mit dem Tod umgehen. Dies erleichtert es den Menschen, mit uns über die Planung ihrer eigenen Bestattung oder über den Verlust eines geliebten Menschen zu sprechen. Letztlich ist der Beratungsprozess aber auch keine Einbahnstraße: Auch wir lernen von den Familien, die wir betreuen - genau, wie wir auch durch die Auseinandersetzung mit den künstlerischen Positionen und aus Gesprächen mit Galeriebesuchern neue Ideen entwickeln, die wir dann im Rahmen von Trauer- oder Lebensfeiern umsetzen.

An Ihrer Ausstellung »Wer zuletzt lacht...« vom August dieses Jahres, welche Tod und Humor verbindet, merkt man, dass Sie auch unangenehme Fragen und Aspekte des Themas nicht scheuen. Wird beispielsweise auch das Extrem Kindersterblichkeit in den Diskussionen behandelt und ist es vielleicht bald Thema einer Ausstellung?

Aktuell planen wir in der Tat eine Ausstellung über Kindersterblichkeit mit dem Fokus auf verwaiste Eltern. Tabuthemen werden nicht einfacher, wenn man sie weiterhin verschweigt.

Wie ist es mit Suizid, wo gerade in der Pandemie die Zahlen junger Menschen mit Suizidgedanken gestiegen sind?

Wir hatten vorletztes Jahr ein Projekt zum Suizid geplant, welches wir leider vertragen mussten. Suizid ist nach wie vor ein Thema, welches ganz weit oben auf unserer Agenda steht.

Andre Germar, Perdoname Madrectia pormi vida Loca San Salvador 2011 2014_7
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Andre Germar, Perdoname Madrecita pormi vida Loca San Salvador 2011-2014

Narben können Zeugen davon sein, wie jemand einem möglichen Tod vorerst entgangen ist. Vereinzelt wurde dies in der Kunst verarbeitet, wie etwa in Mapplethorpes Fotografien von Warhols vernarbtem Oberkörper nach dessen Schussverletzungen. Sie haben 2019 in Ihrer ersten Ausstellung mit den Fotografien Andre Germars über das gefährliche Gangleben in San Salvador eine ähnliche Richtung eingeschlagen. Wie waren die Reaktionen auf diese Ausstellung?

Viele Besucher reagierten mit ungläubigen Staunen, nachdem sie die Geschichte hinter den Bildern erfahren haben. Germars Bilder wirken einerseits unglaublich perfekt inszeniert - als wären es Katalogfotos und zeugen doch gleichzeitig von einem unglaublichen Leid. Tod und Leid sind überall, aber es liegt an uns, ob und wie wir sie wahrnehmen.

Andre Germar in der Ausstellung »Perdoname Madrecita pormi vida Loca«
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Sven Friedrich Cordes in der Ausstellung »Perdoname Madrecita pormi vida Loca«

Der Totenkopf in Kunstwerken hat seine Bedeutung als Warnung vor tödlichen Bedrohungen verloren, ist Dekoration auf Kleidung, Uhren und Schmuck. Bewerten Sie dies als offenen Umgang mit dem Tod, der die Furcht nimmt, oder ist es eher ein Zeichen des Ignorierens durch Verharmlosung?

Ich denke, dass es vielmehr ein Zeichen des Bedeutungsverlustes und der inflationären Verwendung von Zeichen im popkulturellen Kontext ist. Der Tod ist so einerseits überall präsent - und trotzdem verdrängen wir ihn, indem wir die ehemals bedeutungsvollen Zeichen inflationär benutzen. Eine paradoxe Situation.

Immer mehr findet sich in der Gesellschaft die Rede vom „guten Sterben“ (meist ist Sterben im familiären Umfeld gemeint). Wie kann Kunst das Thema Sterben anstelle des Todes fokussieren und diese Entwicklung stützen oder leiten? Oder das Thema Trauer, das noch weniger im öffentlichen Diskurs steht?

Ich denke, dass das Memento-Mori neben dem Tod im engeren Sinne auch das Sterben und das Trauern umfasst. Letztlich werden alle drei Themen gleichartig totgeschwiegen. Die Ausstellung von Andre Germar ist auch hier ein gutes Beispiel: seine Darstellung von jungen Mordopfern hat viele Menschen dazu inspiriert, sich auch Gedanken zu ihrem eigenen Sterben zu machen. Häufig wird Tod ja mit einem langen Leidensweg verknüpft. Dieser entfällt - so makaber es auch klingen mag -, wenn man bei einer Schießerei getötet wird.

Hat die Galerie auch Ihre Arbeit als Bestatter verändert?

Die Galerie hat auch unseren Blick auf den Tod und unsere tägliche Arbeit verändert. Ich erinnere mich daran, dass Andre Germar für seine Ausstellung ein Bild von einem Mordopfer auswählte, welches in einer Blutlache lag. Das bereitete mir zunächst Sorge, da in den Räumlichkeiten schließlich auch Trauer- und Vorsorgegespräche stattfinden. Von den Trauernden hat sich allerdings niemand daran gestört - im Gegenteil.

Vielen Dank für das Gespräch.

Weitere Informationen zur Galerie und den Ausstellungen unter metavier.Art.Salon

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