Annabelle Moison

Erwachende Identitäten

Die Arbeiten von Annabelle Moison erörtern tiefgründige Fragen zur Identität des Individuums in kollektiven Strukturen. Ihre Kunst ist eine Auseinandersetzung mit der Spannung zwischen Selbstbehauptung und Anonymität, zurückgeführt auf historische Ereignisse und aktuelle gesellschaftliche Debatten.

von Felix Brosius, 15. July 2025
Annabelle Moison - Fallen women series
Annabelle Moison: Aus der Serie »Fallen women« (2024), Chirurgische Nähte auf Leinwand, 70 x 60 cm

Annabelle Moisons Arbeiten sind abstrakte Übersetzungen tiefgreifender Überlegungen zu einem Spannungsverhältnis zwischen Identität und Anonymität – sowohl hinsichtlich selbstgewählter Unsichtbarkeit, beispielsweise im Internet, als auch in Bezug auf aufoktroyierte Namenlosigkeit, etwa durch autoritäre Institutionen. Dabei bleibt sie nicht im Allgemeinen, sondern setzt sich mit konkreten historischen Ereignissen auseinander. So spürt sie in der aktuellen Serie Fallen Women den entmenschlichenden Mechanismen der Magdalenenheime nach, den sogenannten »Besserungsanstalten für gefallene Frauen«, die ihre Bewohnerinnen nach Kategorien wie Besonders, Mittelmäßig und Verachtet unterteilten und ihnen statt Namen einfach nur Nummern zuwiesen. Diesen klaren Versuch der Uniformierung übersetzt Moison in rasterhafte Systeme, in denen sich vermeintlich gleichförmige Rauten in einem festen Schema aneinanderreihen, dabei aber nicht nur innerhalb dieses Rasters individuelle Variationen aufweisen, sondern auch das vorgegebene Muster mehrfach aufbrechen und wortwörtlich aus der Reihe tanzen – ein Ausbruch aus der uniformen Anonymität, die ihre je eigene Identität uno actu formt und zum Ausdruck bringt. Ein hochaktuelles Thema, denn um für das von Moison formulierte Spannungsfeld zwischen Ordnung und individueller Freiheit, zwischen Konformität und Identität, Parallelen in gesellschaftlichen Strukturen zu finden, müssen wir nicht in die Zeit der Besserungsanstalten zurückblicken, es genügt, unsere zeitgenössischen Diskussionen national und international zu verfolgen.

Annabelle Moison - Fallen women series
Annabelle Moison: Aus der Serie »Fallen women« (2024), Chirurgische Nähte auf Leinwand, 60 x 50 cm

Die in den Niederlanden geborene Moisen lebt und arbeitet heute seit einigen Jahren in Luxemburg. Ihre formale Ausbildung absolvierte sie in Amsterdam, wo sie zunächst an der Gerrit Rietveld Academie und anschließend am Jewellery Departement studierte und zwei Abschlüsse in Design und Kunst erwarb. Ihren Arbeiten gehen jeweils intensive Nachforschungen zu wissenschaftlichen Aspekten und historischen Bezügen voraus, wenn sie Fragen nachspürt wie: Wozu führt es, wenn Geschichten unterdrückt werden und unerzählt bleiben? Braucht Selbstidentität Sichtbarkeit oder gibt es sie auch im Verborgenen? Wie wirkt unsere selbstinszenierte Online-Persönlichkeit auf unsere eigene Identität zurück? Für ihre Beobachtungen entwickelt sie Übersetzungen in eine abstrakte Bildsprache, die sie mit Hilfe verschiedener Materialien wie Stoffen, Pigmenten und Vernähungen realisiert. Auf diese Weise entsteht ein Werk, so komplex wie die Phänomene, die Moison erforscht.

Annabelle Moison - Fallen women series
Annabelle Moison: Aus der Serie »Fallen women«, Chirurgische Nähte auf Leder
»Ich werte historische Quellen aus, um philosophische Fragen zu Identität, Anonymität und Selbstwert zu erforschen.«
Annabelle Moison - A horse with no taste
Annabelle Moison: A horse with no taste, Chirurgische Nähte auf Filz
Annabelle Moison - Extraction XX
Annabelle Moison: Extraction XX, Print auf Papier, A3

Mehr über die Künstlerin: Artist Page von Annabelle MoisonArt.Salon

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