Mathematik und Kunst – ein überraschend fruchtbares Zusammenspiel

Über die ersten beiden Minisymposien »Mathematik und Kunst« auf den Jahrestagungen der Deutschen Mathematiker-Vereinigung

Auf den ersten Blick erscheinen die Bereiche Mathematik und Kunst sehr unterschiedlich und nur schwer in einem Projekt vereinbar zu sein. Historisch gibt es jedoch erstaunlich viele Beispiele für ein solches fruchtbares Zusammenspiel, und in den letzten Jahrzehnten wurden sowohl Konferenz- als auch Zeitschriftenformate entwickelt, um die interdisziplinäre Interaktion zwischen Mathematik und Kunst weiter zu fördern. Eine neue Veranstaltung ist in diesem Zusammenhang ein Minisymposium, das weitere Möglichkeiten für Austausch, Vernetzung und Inspiration bietet.

von Milena Damrau und Martin Skrodzki, 02. December 2021

Mathematik wird oft mit abstrakten Konzepten, purer Logik oder auch praxisfernen Theorien assoziiert. Mit Kreativität, geschweige denn mit Kunst, wird sie eher selten in Verbindung gebracht. Dennoch schwärmen Mathematikerinnen und Mathematiker von der Schönheit mathematischer Konstruktionen und Beweise. Kann diese Schönheit nur von Eingeweihten geschätzt werden? Braucht man einen Abschluss in Mathematik, um die ästhetischen Werte zu erkennen, die dieses Fachgebiet zu bieten hat? In diesem Sinne erscheint eine Verbindung von Mathematik mit künstlerischen Disziplinen wie der bildenden Kunst, der Musik oder der darstellenden Kunst, um nur einige zu nennen, eher schwierig.

Verbindungen von Kunst und Mathematik finden sich bereits in der Antike

Eine genauere Betrachtung von Mathematik und Kunst zeigt jedoch eine Vielzahl von Verbindungen zwischen diesen beiden Bereichen. Diese sind während einer langen historischen Beziehung entstanden, die bis ins 4. Jahrhundert v. Chr. und möglicherweise sogar noch weiter zurückreicht. In der Antike stellte Aristoteles fest: »Vor allem die mathematischen Wissenschaften zeichnen sich aus durch Ordnung, Symmetrie und Beschränkung; und dies sind die größten Formen des Schönen.« Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich berühmte Kunstschaffende im Laufe der Geschichte der Mathematik zuwandten und sich von ihr inspirieren ließen.

Universe by Johannes Kepler
Copyright: https://commons.wikimedia.org/wiki/ Category:Mysterium_Cosmographicum_solar_ system_model#/media/File:Kepler_Platonic_Solids.tif
Illustration der Struktur des Universums nach Johannes Kepler, dargestellt durch eine Verschachtelung der fünf platonischen Körper. Abgedruckt in Keplers astronomischem Werk »Mysterium Cosmographicum«

So ist beispielsweise Leonardo da Vinci einer der bekanntesten Maler der Renaissance, aber er hatte auch ein großes Interesse an Naturwissenschaften und Mathematik. Er schuf mehrere künstlerische Darstellungen von geometrischen Strukturen. Die Verwendung von Perspektive in der Renaissancemalerei ist ein weiteres Beispiel für die Anwendung geometrischer Prinzipien in der künstlerischen Praxis. Diese Beziehung zwischen Mathematik und Kunst wirkt aber auch umgekehrt: Mathematikerinnen und Mathematiker fügten ihren gedruckten Werken reichhaltige und kostspielige Illustrationen bei, um ihre Erkenntnisse zu vermitteln. Johannes Kepler nutzte beispielsweise einen Stich von verschachtelten Polyedern, um seine Berechnungen der Planetenbewegungen mit seiner philosophischen Weltanschauung zu verbinden. Insbesondere nach den Arbeiten von René Descartes, die es erlauben z.B. Zahlen oder Gleichungen zeichnerisch darzustellen, explodierte die Anzahl an Illustrationen in mathematischen Zeitschriften. Einige Forschende gingen sogar so weit, dass sie ihre Erkenntnisse über dreidimensionale Strukturen in Gipsskulpturen darstellten, wie sie etwa in der Göttinger Sammlung mathematischer Modelle und Instrumente gesammelt sind.

Weitere Entwicklungen im 20. und 21. Jahrhundert

In diesem Kreislauf der Inspirationen griffen Künstlerinnen und Künstler immer wieder mathematische Konzepte auf und nutzten sie, um ihnen eine eigene, einzigartige Perspektive zu geben. Ein Beispiel hierfür ist Maurits Cornelis Escher, dessen Werke einen starken Bezug zu den sogenannten Ornamentgruppen (englisch: wallpaper groups), der mathematischen Grundlage kristallographischer Strukturen, aufweisen. Die Arbeiten anderer Künstlerinnen und Künstler, wie beispielsweise die ikonischen Gemälde von Piet Mondrian, zeigen klare geometrische und mathematische Aspekte, wobei explizite Verbindungen zu entsprechenden wissenschaftlichen Bereichen nicht bekannt sind. Anders verhält es sich z. B. bei Bathsheba Grossman, die sich für ihre Skulpturen direkt von mathematischen Konzepten wie Minimalflächen, Knoten oder topologischen Strukturen inspirieren lässt. Diese und viele andere Künstlerinnen und Künstler haben bewiesen und beweisen immer wieder, wie faszinierend und schön sowohl mathematische als auch von Mathematik inspirierte Kunstwerke sein können.

Gyroid by Bathsheba Grossman
Copyright: https://bathsheba.com/math/gyroid
»Gyroid«, eine Metallskulptur von Bathsheba Grossman

Auch wenn es Zusammenarbeit von Mathematikerinnen/Mathematikern und Kunstschaffenden schon lange gibt, wurde dieses fruchtbare Zusammenspiel erst in den letzten Jahrzehnten auch durch entsprechende Angebote erleichtern. Ein Beispiel hierfür ist die Bridges-Konferenz, bei der sich Mathematikerinnen/Mathematiker und Kunstschaffende seit 1998 jährlich zusammenfinden. Die Konferenz wurde bisher in Nordamerika, Europa und Asien abgehalten und fördert interdisziplinäre Präsentationen und Veröffentlichungen von Mathematik in Verbindung mit Kunst, Musik, Architektur und Kultur. Arbeiten, die sich mit der Einbindung dieser Zusammenhänge in einen pädagogischen Rahmen befassen, sind ebenso willkommen wie Hands-on-Workshops, Lesungen von Poesie oder die Aufführung von mathematisch inspirierten Theaterstücken. Die Bridges-Konferenz, durchgeführt von der Bridges Organization, ist die größte Veranstaltung in diesem Bereich. Die Bridges Organization veranstaltet auch verschiedene Ausstellungen für mathematische Kunst, die entweder im Rahmen der Bridges-Konferenz oder z. B. auch in Form mathematischer Kunstgalerien während der Joint Mathematics Meetings der American Mathematical Society präsentiert werden. Neben der Bridges-Konferenz gibt es auch Zeitschriften, die sich der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen über mathematische Kunst widmen. Beispiele hierfür sind das 2007 gegründete Journal of Mathematics and the Arts oder die 1968 gegründete Zeitschrift Leonardo, wobei letztere Beiträge zu allgemeineren Kooperationen zwischen Wissenschaft und Kunst publiziert. All diese Veröffentlichungen vermitteln einen Eindruck von den vielfältigen Aktivitäten und den vielfältigen Menschen, die derzeit in diesem Bereich tätig sind.

Ein neues Minisymposium für mehr Austausch

Während internationale Konferenzen zu Mathematik und Kunst regelmäßig stattfinden, fehlt ein deutsches oder europäisches Treffen zum Austausch von Ideen und Inspirationen sowie zur Präsentation von Arbeiten. Um diese Lücke zu schließen, wurde im Jahr 2020 erstmals ein Minisymposium zum Thema »Mathematik und Kunst« auf der Jahrestagung der Deutschen Mathematiker-Vereinigung veranstaltet. Trotz der mehr als 130-jährigen Geschichte der Deutschen Mathematiker-Vereinigung war es die erste Veranstaltung dieser Art im Rahmen einer Jahrestagung. Da ein Minisymposium unmöglich die gesamte Bandbreite möglicher Verbindungen zwischen Mathematik und Kunst abdecken kann, wurden im Call for Papers einige Einschränkungen vorgenommen. Generell wurden Arbeiten gesucht, die entweder künstlerische Werke aus einer mathematischen Perspektive betrachten oder mathematische Konzepte in künstlerischer Form wiedergeben. Besonderer Wert wurde auf das explizite Vorhandensein der mathematischen Komponenten gelegt, d.h. sie sollten nicht als selbsterklärend vorausgesetzt, sondern aktiv angesprochen werden. Das Minisymposium umfasste vier Sessions mit insgesamt 15 Vortragenden (9 Männer, 6 Frauen) aus Deutschland, den USA, Argentinien, den Niederlanden und Polen. Die Themenbereiche der vier Sessions waren vielfältig und umfassten beispielsweise Vorträge über verschiedene künstlerische Objekte als Ausgangspunkte für mathematisches Lernen. Zwei weitere Beiträge verwendeten statistische Modelle zur Analyse und Visualisierung von Kunst. Für eine detaillierte Diskussion ausgewählter Beiträge des Minisymposiums verweisen wir auf einen englischsprachigen Artikel in der Online-Zeitschrift »w/k – Zwischen Wissenschaft und Kunst«.

Symposium2020_Collage
Copyright: https://between-science-and-art.com/mathematics-and-arts/
Eine Collage verschiedener Projekte, die auf dem Minisymposium »Mathematics and Arts« 2020 vorgestellt wurden

Aufgrund der großen Resonanz und des sehr positiven Feedbacks der Referentinnen und Referenten sowie des Publikums, wurde auf der gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen Mathematiker-Vereinigung und der Österreichischen Mathematischen Gesellschaft im September 2021 ein zweites Minisymposium zum Thema Mathematik und Kunst veranstaltet. Insgesamt 21 Referentinnen und Referenten (9 weiblich, 12 männlich) hielten 15 Vorträge, die in fünf Sessions thematisch aufgeteilt waren. So befassten sich beispielsweise drei Vorträge mit mathematisch inspirierten Holzarbeiten, während sich die Vorträge einer anderen Session auf die Umsetzung von Symmetrien durch Papiermodelle fokussierten, sowohl als dreidimensionale Modelle als auch als Origami. Andere Vortragende nutzten Computer, um Renderings für interaktive Lehrvideos, für die Erforschung von Perspektive in holländischen Gemälden des 17. Jahrhunderts oder für Filme zur Wissenschaftskommunikation zu erstellen.

Ein interdisziplinäres Forschungsfeld, in dem Menschen mit verschiedenen Hintergründen arbeiten

Da es sich bei Mathematik und Kunst um ein interdisziplinäres Gebiet handelt, sind die Menschen, die sich mit diesem Bereich befassen, sehr unterschiedlich, was ihren wissenschaftlichen oder künstlerischen Hintergrund, ihre Ausbildung und ihre Beweggründe angeht. Einige von ihnen schaffen mathematische Kunstwerke, um die darin enthaltene Mathematik besser zu verstehen, andere, um das künstlerische Potenzial der Mathematik weiter zu erforschen. In jedem Fall erfordern diese Projekte interdisziplinäres Wissen, entweder innerhalb einer Person oder innerhalb eines Teams. Beispiele für erstere sind z. B. Rachel Quinlan oder Joshua Holden, die ausgebildete Mathematikerin bzw. Mathematiker sind und mathematische Strukturen künstlerisch erkunden. Dabei verwendet Rachel Quinlan Origami, um verschiedene Elemente von Ornamentgruppen zu veranschaulichen, ganz im Sinne des bereits erwähnten M.C. Escher. Joshua Holden nutzt sein Wissen über Zufallsprozesse, um Computerprogramme zu schreiben, die Webmuster oder Schlagzeugsoli erzeugen.

Origami Folding by Rachel Quinlan
Copyright: Rachel Quinlan
Die Symmetrien einer der Ornamentgruppen, realisiert durch eine Origami-Faltung

Interdisziplinäre Teams profitieren davon, dass alle Mitglieder ihr jeweiliges Fachwissen in das Projekt einbringen. Wenn Anna M. Hartkopf ihr mathematisches Verständnis vierdimensionaler Geometrien beisteuert und René M. Broeders seine Erfahrung als künstlerischer Leiter einbringt, entstehen ganz wunderbare Performances. Das Gleiche gilt für die Bildhauerin Teresa Hunyadi, die beeindruckende holzgeschnitzte Darstellungen von Penrose-Parkettierungen schafft, welche von Dave Murray-Rust, einem Experten für die Interaktion zwischen Mensch und Maschine, erzeugt werden. Ganz anders war der Fall von Aubin Arroyo und Jean-Michel Othoniel: Beide beschäftigten sich unabhängig voneinander mit so genannten wilden Knoten – Aubin Arroyo als Mathematiker und Jean-Michel Othoniel als Künstler. Später erfuhren sie von ihrer jeweiligen Arbeit und begannen sich auszutauschen und zusammenzuarbeiten. Daraus entstanden eine Ausstellung und ein Buch, das die beiden gemeinsam verfasst haben. Da es sich bei den beiden Minisymposien um Online-Formate handelte, konnten auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Kunstschaffende sowie Lehrende teilnehmen, die normalerweise nicht für einen Kurzvortrag nach Europa reisen würden bzw. denen einfach die finanziellen Mittel hierfür fehlen. Daher ist es wichtig, solche Formate so inklusiv wie möglich fortzuführen, wofür hybride (vor-Ort/virtuell) Konferenzen eine vielversprechende Möglichkeit darstellen.

Penrose Tiling
Copyright: Teresa Hunyadi
In Holz geschnitzte Darstellung einer Penrose-Parkettierung

Wir hoffen, dass Ihnen dieser kurze Einblick in die Welt der Mathematik und Kunst gefallen hat. Wenn Sie Erfahrungen aus erster Hand sammeln möchten, wenden Sie sich bitte an dmv.math.art@gmail.com. Wir nehmen Sie gerne in unsere Mailingliste auf und informieren Sie über kommende Veranstaltungen. Das nächste Treffen ist auf der Jahrestagung der Deutschen Mathematiker-Vereinigung in Berlin vom 12. bis 16. September 2022 geplant. Wir würden uns freuen, Sie dort zu sehen!

Weitere Lektüre und anderes Material

Ein Artikel über das erste Minisymposium in der Online-Zeitschrift »Zwischen Wissenschaft und Kunst«: https://between-science-and-art.com/mathematics-and-arts/

Eine YouTube-Playlist mit allen Vorträgen des ersten Minisymposiums: https://www.youtube.com/playlist?list=PLIQnnJvM8OOknWUcdVA9s_pNMDpLascmg

Artikel im Blog der Deutschen Mathematiker-Vereinigung zum ersten Minisymposium: https://www.mathematik.de/dmv-blog/2848-mathematik-und-kunst-%E2%80%93-wie-passt-das-zusammen

Eine YouTube-Playlist mit allen Vorträgen des zweiten Minisymposiums: https://www.youtube.com/playlist?list=PLIQnnJvM8OOkdVa7p-uYbMs5OnR2Gcza-

Kontakte Martin Skrodzki:
Homepage: https://ms-math-computer.science
Twitter: https://twitter.com/msmathcompArt.Salon

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