Im Interview: Fotografin Elitza Nanova

»Mit der Kamera kann ich dem Ephemeren Dauerhaftigkeit verleihen«

Mit der Fotografie die Zeit zum Stillstand bringen: die Berliner Fotografin Elitza Nanova hält nicht nur die Dynamik des Tanzes, sondern auch ihre Faszination für flüchtige Momente für die Ewigkeit fest. In einem ausführlichen Gespräch gewährt sie tiefe Einblicke in ihre Praxis. Das Interview führte Mario Stumpfe.

05. June 2025

Ihre Fotografien bieten Blicke auf die Realität, die dem menschlichen Auge in der Form verborgen bleiben: Elitza Nanova meistert die Tanzfotografie, ihre eleganten Bilder erregen sofort Aufmerksamkeit. Im Interview erläutert sie detailliert, wie lange die Fotografie sie schon begleitet, wie sie zur Tanzfotografie gekommen ist und in welchen Bereichen sie außerdem arbeitet.

Das Interview führte der freie Journalist Mario Stumpfe im Mai 2025:

Elitza, du bist seit einiger Zeit als Fotografin in Berlin präsent, geboren und aufgewachsen bist du in Bulgarien. An der Berliner Humboldt Universität hast du Kunst- und Kulturwissenschaft studiert, später lange Zeit als Grafikdesignerin gearbeitet. Es klingt nach keinem geradlinigen Weg. Waren Bilder schon immer wichtig für dich?

Bilder begleiten mich schon mein ganzes Leben lang. Ich hatte das Glück in einem kunstaffinen Haus in Sofia aufzuwachsen, in dem es – trotz sozialistischer Mangelwirtschaft – Kunstalben, Bücher und Gespräche über Kunst gab. Als Studentin der Kunstwissenschaft in Berlin hatte ich Bilder analysieren gelernt, als Grafikerin musste ich mit fremden und eigenen Fotos interagieren, als Fotografin stehe ich oft vor meinen vielen Fotos und muss eine Auswahl treffen, sie beurteilen und die besten auswählen.

DAWSON | VOICES, 2021 (Staatsballett Berlin) Mehrfachbelichtung
DAWSON | VOICES, 2021 (Staatsballett Berlin) Mehrfachbelichtung

Wann hast du die Fotografie für dich entdeckt?

Meinen ersten Kurs absolvierte ich mit 18 an der Volkshochschule in Berlin und richtete mir daraufhin ein Labor für analoge Schwarz-Weiß-Fotografie ein. Leider blieb die Fotografie lange Zeit nur latent in meinem Leben. Ich kann es nicht beschreiben, aber irgendwie hatte ich Angst mich voll dahinein zu stürzen. In meiner Studienzeit habe ich sie als Hobby betrieben, danach als freie Journalistin meine Zeitungsartikel mit meinen Fotos illustriert, später – als Grafikdesignerin – meine Fotos in Projekten eingesetzt, und schließlich habe ich mit großer Freude die Entwicklung meiner Kinder festgehalten…. Aber ich habe mich lange nicht voll zur Fotografie bekennen können.

Das änderte sich als ich mit 40 Jahren anfing zu tanzen und durch den Tanz viele Blockaden wegfielen und viele schlummernde Lebensprojekte hochkamen. Auch der persönliche Kontakt zu Tänzern und die Teilhabe an ihrem Tun hat mich inspiriert, die Fotografie zu intensivieren. Es war mir klar, dass ich in meinem Alter keine Höhenflüge als Tänzerin erreichen, aber durchaus durch die Kamera meine Faszination für Tanz und Bewegung ausleben kann. In der Tanzfotografie entwickelte ich mein Können und experimentierte mit den unterschiedlichsten fotografischen Techniken.

Nach meiner ersten Ausstellung »Faszination Bewegung« 2020 war ich mit der Frage konfrontiert, ob ich weiterhin die Fotografie als Handwerk praktizieren oder eher künstlerisch arbeiten möchte. Nun, das Zweite liegt mir mehr.

SCHNEE III, 2024 (Tänzer: Carlos Frevo), Einfrieren von Bewegung
SCHNEE III, 2024 (Tänzer: Carlos Frevo), Einfrieren von Bewegung

Warum hast du die Fotografie als Ausdrucksmittel gewählt?

Mein Kopf war immer voller Bilder. Schon als Kind habe ich abends im Bett lange mit geschlossenen Augen imaginiert, Bilder produziert, mir die Welt so zurechtgerückt, wie ich sie haben wollte. Auch Malen und Zeichnen fand ich toll, aber ich bin sehr ungeduldig und brauche ein schnelleres Medium zur Umsetzung meiner Ideen. Dazu kommt, dass mich vor allem fragile und flüchtige Zustände interessieren, wie Bewegung, Wasser, Lichtstimmungen. Mit der Kamera kann ich dem Ephemeren Dauerhaftigkeit verleihen.

Ich glaube, wenn man tiefenpsychologisch an das Thema herangeht, war die Fotografie ein Heilmittel für eine große Verlustangst in mir. Diese Angst kam auf, mit meinem Kommen nach Berlin in den 80er Jahren, als eine ganze Welt – Bulgarien – für mich verloren ging. Aber auch die allgemeinmenschliche Angst vor unserer Vergänglichkeit spielt hier eine Rolle. Die Kamera ist für mich eine Art Zauberstab, der mir erlaubt, die Zeit zu steuern und, wenn ich möchte, anzuhalten. In meiner Ausstellung »Zeit – Struktur« (2024) habe ich dieses Phänomen anhand der Bewegungsfotografie veranschaulicht – durch kurze Belichtungszeiten friere ich die Zeit ein, durch lange zeige ich die Bewegungsspuren und Zeitdauer, durch Mehrfachbelichtung – die Gleichzeitigkeit und durch Stroboskop-Effekt-Fotografie seziere ich den Moment in Bruchstücke und banne diese in einem einzigen Bild. Ich nehme die Herausforderung an, durch ein statisches Medium, wie die Fotografie, Bewegung darzustellen und weiter wirken zu lassen.

Dennoch ist nicht allein die Verlust- und Vergänglichkeitsangst treibend und bestimmend für meine Fotografie. Es ist auch eine sehr große Freude, Transformationen und Veränderungen festzuhalten. In meiner Serie »Berlin als Wasserspiegelung« fotografiere ich die »ewigen« Bauwerke an der Spree – das Schloss, den Dom, das Pergamonmuseum usw. – in vielfältigen Variationen und Erscheinungsformen als vergängliche Wasserspiegelungen. Und in Tanzbildern, wie »Im Fluss der Zeit« fange ich Bewegungsspuren ein – einzigartige Momente, die sonst niemand so gesehen hat und sehen kann.

Was fotografierst du zurzeit?

Seitdem ich mich für die künstlerische Fotografie entschieden habe, bin ich thematisch nicht so festgelegt. Ich achte mehr auf den »inneren roten Faden« und wohin er mich führt. Nach der intensiven Beschäftigung mit Bewegung von 2012-2023, fesselt mich seit 2024 das Wasser. Die Serie »Berlin als Wasserspiegelung« ist »work in progress« und setzt sich vielleicht fort, aber aus der Beobachtung des Wassers ist eine neue Serie entstanden – »Abstrakte Wasserbilder«. Auch hier wird Wasser zu meiner Leinwand, seine Oberflächenstrukturen zu Pinselstrichen und Linien, die Reflexionen darauf zu Farbflecken und -mustern. Nur hier »gerät alles aus den Fugen« – reale Objekte wie Häuser, Boote und Brücken verlieren ihre Gegenständlichkeit und werden zu abstrakten Fotografien.

BERLINER SCHLOSS III, 2025 (Serie: „Berlin als Wasserspiegelung“)
BERLINER SCHLOSS III, 2025 (Serie: „Berlin als Wasserspiegelung“)

Welche Art von Fotografie magst du? Deine Wasserbilder z.B. bewegen sich zwischen vielen Teilbereichen der Fotografie – Naturfotografie, Architekturfotografie, Landschaftsfotografie, Street Photography, abstrakter Fotografie – aber auch zwischen den Medien Fotografie, Malerei und Grafik.

Die Beschäftigung mit Bildern und die Kunstgeschichte hat mich für viele Kunstrichtungen und -stile sensibilisiert. Ich wähle unbewusst die Mittel. Erst im Nachhinein, sehe ich – »ach, das ist impressionistisch geworden«, oder »das gehört zum Bauhaus« oder »oh, ich wusste nicht, dass ich je eine Landschaftsmalerin sein würde«. Prinzipiell suche ich bei jedem Foto, das ich mache, nach dem Besonderen, Einmaligen, nach dem »Bekannten«, wie es so niemand anderes gesehen hat, obwohl das ursprüngliche »Motiv« ja für jeden sichtbar und ganz real vorhanden ist.

Und, es reizt mich wirklich sehr, die Grenzen der Fotografie zu anderen Medien auszuloten.

Du hast schon 4 Einzelausstellungen und eine Gruppenausstellung gehabt. Planst du eine neue Ausstellung für 2025?

Ja, für 2025 sind vorläufig 3 Ausstellungen geplant.

Vom 4. bis zum 28. Juni 2025 beteilige ich mich an einer Gruppenausstellung unter dem charmanten Titel »I found a way to make you smile«, in der 38 Arbeiten dem Betrachter ein Lächeln entlocken wollen, in Zeiten, wo es wenig zu lachen gibt.

Im Oktober werde ich eine Einzelausstellung haben, wo ich verschiedene Facetten meiner Fotografie präsentieren kann.

Eine Ausstellung im öffentlichen Raum ist geplant, aber noch nicht spruchreif.Art.Salon

Elitza Nanova by Zuza Różańska
Elitza Nanova, Foto: Zuza Różańska
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