museum in progress – ein gemeinnütziger Kunstverein

museum in progress – ein Museum ohne Mauern

Der gemeinnützige und private Kunstverein museum in progress (mip) präsentiert Kunst überall. Ob auf Gebäudefassaden, Plakatflächen, in Magazinen, Zeitungen oder gar Konzertsälen –­ nichts ist vor den Ausstellenden sicher.

von Joanna Gründel, 08. June 2022

Eine farbenreiche Wand verdeckt die Opernbühne. Knallige und intensive Farben leuchten neben zarten und pastelligen Tönen. Ein Meer von Formen, Linien, Ornamenten und Figuren ergießt sich. Gerade und geschwungene Linien, Kreise, regelmäßige und unregelmäßige Vierecke, Ellipsen, Blumen, Blätter.

Die abstrakte Landschaft ist vertikal in drei Bereiche aufgeteilt: In der ruhigen Mitte wechseln sich geometrische Formen mit geraden und welligen Linien ab. Links und rechts wirkt es chaotischer, aber auch lebendiger. Neben den Linien und Wellen formen sich Blumen und Blätter, die an Ästen emporwachsen oder zu Bäumen angeordnet sind.

»[eine] Atmosphäre spiritueller Schönheit«

Diese »Wand« ist ein Großbild (176 m2) der brasilianischen Künstlerin Beatriz Milhazes. Das Werk »Pink Sunshine« schuf sie für die 24. Ausgabe der vom mip entworfenen Ausstellungsreihe »Eiserner Vorhang«. Milhazes intendierte damit eine »Atmosphäre spiritueller Schönheit«. Es kann noch bis Ende Juni 2022 in der Wiener Oper besichtigt werden.

Das Projekt »Eiserner Vorhang« verwandelt die Brandschutzwand der Wiener Oper zwischen Bühne und Zuschauerraum seit 1998 temporär in einen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst. Das Großbild ist mit Magneten auf dem eigentlichen eisernen Vorhang fixiert. Milhazes Werk ist das erste Werk aus Lateinamerika, das die Brandschutzwand schmückt. Zuvor wurden schon Künstler wie David Hockney (15. Ausgabe), Cy Twombly (14. Ausgabe) und Jeff Koons (10. Ausgabe) ausgewählt.

Der »Eiserne Vorhang« ist eins der vielen Projekten, die der Verein in Programm bereits umgesetzt hat. Die ersten verwirklichten die Künstler Kathrin Messner und Josef Ortner bereits in den 1980er Jahren.

Die Botschaft als Medium

Messner und Ortner lernten sich 1978 kennen und verliebten sich ineinander. Bis zum Tode Ortners 2009 gingen sie ihren Lebensweg gemeinsam. 1990 gründete das Paar den privaten und gemeinnützigen Kunstverein mip in Wien. Seitdem hat das mip mit über 600 Künstlerinnen und Künstlern (Stand 2021) zusammengearbeitet, über 60 Projekte betreut und unzählige Einzelwerke sowie neuartige Ausstellungsräume geschaffen – vergängliche wie unvergängliche. Dabei kooperierte der Verein mit verschiedensten Medien, Kuratierenden, Einrichtungen und Wirtschaftsunternehmen.

Das Ziel des Vereins war es, Kunst vom statischen Ort Museum zu befreien und zu allen Menschen zu bringen, indem man innovative und moderne Präsentationsformen realisierte. In der Praxis hieß und heißt das, dass Kunst in den verschiedensten Medien erscheint, kontextabhängig und meistens temporär. Diese Medien waren und sind Zeitungen, Magazine, Broschüren oder anderweitiges wie das oben genannte Opernhaus.

Das grundlegende Konzept von mip zeigte sich bereits in einem der ersten Projekte des Vereins. Die »Botschaft als Medium« gab Kunstschaffenden die Möglichkeit, ihre Kunst in Printmedien zu produzieren. Jeden Monat, von September 1990 bis September 1991, konnte ein Künstler oder eine Künstlerin vier Seiten des Wirtschaftsmagazins CASH FLOW frei gestalten. Gleichzeitig stellte die Wiener Tageszeitung DER STANDARD monatlich eine Panoramaseite zur Verfügung. Ermöglicht wurde das Projekt durch die Austrian Airlines.

Ein Museum ohne Museum

Mit seiner Vorgehensweise erschuf der Verein neue »Museumsräume«. Den sogenannten »musealen Idealen«, d. h. Sammeln, Forschen und Bewahren, stellte sich der Verein entgegen. Es ging ihm um das aktuelle Schaffen - Mauern, Wärter, Eintrittskarten und ständige Sammlungen lehnt er ab. Dies wird besonders deutlich in ihrem Projekt »Urmeter in USA«:

1992 bereiste der Künstler Michael Schuster sechs Monate lang die USA und machte sie zum temporären Ausstellungsraum. Schuster schoss Fotos eines detailgetreu nachgebildeten Kodak-Farbkeils als Urmeter an touristisch beliebten Plätzen Nordamerikas, u. a. in Arizona vor dem Grand Canyon oder in Kentucky im Bluegrass Horse Park. Die eigentliche Ausstellung der Großbilder am Gebäude der Firma Kodak in Wien, in deren Kooperation sie entstanden sind, wurde jedoch abgesagt.

Die Kunst des mip löste Befremden aus, da sie an öffentlichen Orten erschien, an denen sie niemand erwartete. Hervorzuheben ist hier das Projekt »museum in progress an Bord«. In einem Zeitraum von zwei Jahren stellte Austrian Airlines in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Asea Brown Boveri (ABB) zwei Seiten jeder Ausgabe des Bordmagazins »Sky lines« zur Verfügung. Daraufhin erschuf der Künstler Alighiero Boetti sein Werk »Cieli ad alta qouta« in sechs verschiedenen Versionen. Diese waren nicht nur auf den Doppelseiten des Bordmagazins zu sehen, sondern konnten auch bei den Flugbegleitern als Puzzle erbeten werden. Diese Puzzles passten genau auf die Klapptische des Flugzeugs.

Beatriz Milhazes Auktionserfolge

Beatriz Milhazes - African dance
Auction
Post-War and Contemporary Art Day Sale
March 2024
Christies, London
Est.: 60.000 - 80.000 GBP
Realised: 75.600 GBP
Details
Beatriz Milhazes - Pink Sunshine
Auction
Deck the WallsPrints & Multiples
December 2023
Bonhams, New York (Online Auction)
Est.: 1.000 - 1.500 USD
Realised: 1.408 USD
Details
Beatriz Milhazes - Mares do Sul
Auction
20th Century & Contemporary Art Evening Sale
October 2023
Phillips, London Auction
Est.: 600.000 - 800.000 GBP
Realised: 698.500 GBP
Details
Beatriz Milhazes - Pink Sunshine, Safety Curtain.
Auction
Prints & Multiples | ONLINE ONLY
September 2023
VAN HAM
Est.: 1.800 - 2.400 EUR
Realised: not available
Details
Beatriz Milhazes - Pink Sunshine
Auction
Evening & Day Editions
September 2023
Phillips, London Auction
Est.: 1.000 - 1.500 GBP
Realised: 1.524 GBP
Details
Beatriz Milhazes - Pink Sunshine
Auction
Evening & Day Editions
June 2023
Phillips, London Auction
Est.: 1.500 - 2.000 GBP
Realised: not available
Details
Beatriz Milhazes - O Sabado (The Saturday)
Auction
Editions & Works on Paper
April 2023
Phillips, New York Auction
Est.: 10.000 - 15.000 USD
Realised: 8.890 USD
Details
Beatriz Milhazes - Bibi
Auction
Contemporary Edition: London
March 2023
Christies, London (Online Auction)
Est.: 5.000 - 7.000 GBP
Realised: 5.670 GBP
Details
Beatriz Milhazes - Pink Sunshine
Auction
Editions & Works on Paper
October 2022
Phillips, New York Auction
Est.: 2.500 - 3.500 USD
Realised: 3.024 USD
Details
Beatriz Milhazes - FLIP-FLOP
Auction
First Open: Post-War and Contemporary Art Online
July 2022
Christies, London (Online Auction)
Est.: 3.000 - 5.000 GBP
Realised: 1.386 GBP
Details

Ein Museum in Bewegung

Neu waren das Ziel und die Vorgehensweise des mip nicht. Schon in den 1920er Jahren lud der Kunsthistoriker Alexander Dorner zu einer lebendigen Ausstellung ein. Das Museum definierte er als Kraftwerk und nannte es »Museum in Bewegung«, denn er meinte »nur als Pionier hat das Museum [einen] Sinn«. Für ihn sollte ein Museum permanent dynamisch und aktiv sein. Dabei sollten sich nicht nur die Ausstellungen flexibel zeigen, sondern auch das Gebäude an sich: Es sollte wandelbar und an die jeweilige Ausstellung anpassbar sein.

»Nur als Pionier hat das Museum [einen] Sinn.«

Etwa 40 Jahre später versuchten einige Konzeptkünstlerinnen und -künstler ihre Kunst aktiver zu gestalten und gingen sogar so weit, ihre Kunst in Medien wie Zeitungen oder das Fernsehen zu bringen. Jedoch scheiterten diese Vorhaben meistens, sodass sie selbst Zeitschriften gründeten und Kunst für Medien schufen, aber nicht mit ihnen. Anfang der 1970er führte die Museumsdebatte zu einer Akademisierung der zeitgenössischen Kunst und das klassische Museum erlebte seine Renaissance. Es eröffneten unzählige Museen für moderne und zeitgenössische Kunst. In den 80er Jahren fingen Unternehmen an, Kunst zu sponsern. An diesem Punkt entstand das mip. Es stellte sich gegen diese Form der Akademisierung und nutzte das neu entwickelte Interesse von Unternehmen an Kunst aus.

Kunst und Kapital

Mit den innovativen Formen, Kunst zu vermitteln und zu veröffentlichen, und der Zusammenarbeit mit Unternehmen, veränderte sich die Art, Kunst zu finanzieren. So arbeitete das mip von 1999 bis 2008 mit der Wein & Co Bar am Naschmarkt unter dem Projektnamen »Vienna Stripe« zusammen. Achtzehn Mal verwandelten die Künstlerinnen und Künstler des Vereins die Fensterfläche der Bar auf unterschiedliche Art und Weise in eine Ausstellungsfläche: Im ersten halben Jahr präsentierte der Künstler Heimo Zobernig seine Arbeit »PHILOSOPHIE/GEOGRAFIE« in dem Format zweier Großbilder. Die Begriffe Philosophie und Geografie waren dabei als graue Großbuchstaben auf weißen Leinwänden abgebildet. Und 2004 zeigte die österreichische Künstlergruppe G.R.A.M. ihre »Wiener Mischung« – Standbilder ihrer Videoarbeit »Musikalische Komödie fürs Fernsehen (Farbfernsehen)«. Die Künstler sind beim Essen, Trinken und Musizieren zu sehen.

Medien, Konstitutionen, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen finanzierten die Kunst des mip in Form von Geldern, Ausstellungsflächen oder Ähnlichem, jedoch bestimmten sie diese nicht. Über Verträge setzte der Verein den Kooperationspartnern gewisse Grenzen. Zwar konnte das Firmenlogo in den Werken auftauchen, doch die Kunst des mip sollte weit über den reinen Werbeeffekt für die jeweiligen Unternehmen oder Medien hinausgehen. Somit bestand für die Partner ein gewisses Risiko, da sie die Werke und deren Einfluss auf das Image der Firma nicht kannten. Die Kunstwerke und inhaltlichen Konzepte blieben rein der Fantasie der Kunstschaffenden überlassen. So prallte die künstlerische auf die ökonomische Welt, was auch die Wirkung des mip ausmachte.

 

Heute findet Kunst überall statt, ob in klassischen Museen, auf der Straße oder in den Medien. Auch die digitalen Medien spielen eine immer größere Rolle und werden Stück für Stück durch Kunstschaffende erschlossen. Das mip hat viel dazu beigetragen, dass Kunst in der Mitte der Gesellschaft ankam und somit ein größeres Publikum erreichte. Auch wenn sie nicht die Ersten waren, so haben sie die vergangenen Versuche und Fehlschläge für sich genutzt und die Welt zu einem Museum gemacht.Art.Salon

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