Shirin Neshat träumt von einem anderen Land, Lars Eidinger von den Alten Meistern
Die Kunst als Spiegel der Gesellschaft – in dieser Woche sind zahlreiche Ausstellungen gestartet, in denen sie diese Aufgabe auf das Vornehmste wahrnimmt. Wer sich darauf einlassen möchte, hat in Hamburg, München und Berlin dazu beste Chancen und kann unter anderem Shirin Neshat, Zanele Muholi und Lars Eidinger im Dialog mit den Alten Meistern erkunden.
In München zeigt die Pinakothek der Moderne ab Freitag Fotografien der iranischen Künstlerin Shirin Neshat, die seit 40 Jahren in den USA lebt und die für sie daraus erwachsenen Fragen nach Herkunft und Identität fotografisch zu fassen versucht – mit persönlicher Note und doch stellvertretend für Millionen von Migranten, die sich zwischen Entwurzelung und Aufbruch neu verorten müssen. Das Ergebnis dieser fotografischen Reise ist nun in der Ausstellung Living in One Land. Dreaming in Another zu sehen.
Arbeiten von Shirin Neshat in internationalen Auktionen
Einblicke in die Schwarze LGBTQIA+-Community Südafrikas durch Zanele Muholis Kamera
Derzeit noch weitaus weniger bekannt als Shirin Neshat aber unbedingt eine Entdeckung wert ist die »Foto-Aktivistin« Zanele Muholi, deren eindringliche Fotografien ebenfalls ab Freitag im Gropius-Bau in Berlin in ihrer ersten großen Einzelausstellung in Deutschland zu sehen sind. Muholi begleitet fotografisch das Leben der Schwarzen LGBTQIA+-Community in Südafrika und fordert schon allein durch diese Sichtbarmachung eine Gesellschaft heraus, in der nicht nur in Südafrika Homo- und Transfeindlichkeit ebenso wie Rassismus zum Alltag gehören und täglich zu Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung führen. Ein Besuch der Ausstellung verspricht sensible und doch intime Einblicke in das Leben einer Schwarzen LGBTQIA+-Community und bietet die Chance, den eigenen Blick zu schärfen und die Perspektive zu weiten.
Kürzlich versteigerte Kunstwerke von Zanele Muholi
Lars Eidinger und Stefan Marx im Dialog mit den Alten Meistern
Oft genügt es, Szenen des Zusammenlebens zu dokumentieren, um gesellschaftliche Verwerfungen offenzulegen – und nicht selten geschieht dies sogar unfreiwillig und ganz nebenbei. Damit spielt die Hamburger Kunsthalle in der mutigen Gegenüberstellung Alter Meister der niederländischen und flämischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts mit zeitgenössischen Fotografien des umtriebigen Lars Eidinger sowie mit Schriftbildern von Stefan Marx. Wer also das erste Adventswochenende in Hamburg verbringt und nicht Menschen der aufgeklärten Moderne auf Weihnachtsmärkten in der Pandemie studieren möchte, kann sich in der Ausstellung Klasse Gesellschaft auf einen amüsanten Spaziergang entlang der 200 zum Teil sehr hochkarätigen Exponate begeben und darüber sinnieren, wie sehr sich das Zusammenleben seit dem 17. Jahrhundert weiterentwickelt hat.
Ein Blauer Elefant im Lockdown
Was Ihr in Wien an diesem Wochenende leider nicht machen könnt, ist die beiden Ausstellungen Huang Po-Chih. Blue Elephant und Wolfgang Tillmans. Schall ist flüssig im mumok besuchen. Dabei wäre das bestimmt lohnenswert gewesen: Po-Chih, der hier in einer ersten großen Einzelausstellung außerhalb Asiens zu sehen sein wird, thematisiert in seinen Arbeiten Aufstieg und Niedergang der Textilproduktion in seinem Heimatland Taiwan. Von Tillmans, einem der fotografischen Dokumentare des gesellschaftlichen Lebens unserer Zeit, ist ein breites Spektrum sowohl ganz früher als auch aktueller Arbeiten zu sehen, die immer einen Besuch wert sind – wenn es denn wieder geht, voraussichtlich ab dem 14. Dezember.
Wolfgang Tillmans - Aktuelle Auktionsergebnisse
Pop Art in Gent
Und was macht man, wenn man von den ganzen gesellschaftlichen Spiegeln, Brüchen und Verwerfungen mal eine Pause braucht? Wir empfehlen ein Wochenende in Gent mit Besuch der Ausstellung POP ART From Warhol to Panamarenko im S.M.A.K., in der neben den beiden titelgebenden Künstlern auch Arbeiten von Roy Lichtenstein, Tom Wesselmann, Martial Raysse, Christo, Jean Tinguely, Marcel Broodthaers, Konrad Klapheck, Yves Klein, Claes Oldenburg, Arman, Gerhard Richter und anderen zu sehen sind. Aber Vorsicht: Dem gesellschaftlichen Diskurs entkommt man auch hier nicht, denn was hält uns schon mehr den Spiegel vor, als die Pop Art?
Dive deeper into the art world
Pinakothek der Moderne in München zeigt Fotografien von Shirin Neshat
Shirin Neshat, eine der bekanntesten zeitgenössischen Künstlerinnen aus dem Iran, lebt seit über 40 Jahren in den USA. In »Living in One Land, Dreaming in Another« sind ab dem 26. November 2021 ihre identitätssuchenden Fotografien zu sehen, die Einflüsse beider Neshats Leben prägender Kulturen miteinander verbinden.